schreibt Fantasy

Lampe

Es dunkelte bereits, als ich von einer geschäftlichen Unternehmung in den Bergdörfern nahe meiner Heimat zurückreiste. Ausgerechnet jetzt fiel die rechte Leuchte meines Automobils aus und ließ den Rand der Chaussee in tiefer Schwärze versinken. Kurze Zeit später polterte das rechte Vorderrad durch ein Schlagloch. Mit einem scharfen Knall platzte der Reifen. Das Fahrzeug brach aus, durchpflügte das Bankett der Chaussee und rutschte in den Straßengraben, wo es mit einem heftigen Ruck steckenblieb. Eine unsichtbare Hand schien mich gegen das Steuerrad zu schleudern. Weißglühende Sterne tanzten vor meinen Augen und ließen mich vor Schreck und Schmerzen aufschreien. Auch die zweite Karbidlampe erlosch und nur das Zischen des überhitzten Kühlers drang an meine Ohren. Es roch nach Dampf und heißem Schmieröl.

Es waren nur ein paar Minuten vergangen, als mich ein flackernder Lichtschein aufschreckte. Einen Augenblick lang fürchtete ich, der Wagen hätte Feuer gefangen. Allerdings roch ich keine Benzindämpfe und das Licht vor dem Wagen flackerte in einem bläulichen Schein, als wäre Mondlicht lebendig geworden.

Ich kniff die Augen zusammen und starrte nach draußen, wo drei leuchtende Bälle von der Größe einer Hand vor der Frontscheibe tanzten. Sie schienen frei in der Luft zu schweben.
Irrlichter, dachte ich. So sahen Irrlichter in den Gespenstergeschichten aus, die meine Frau so gern bei Lampenschein las, worauf sie sich beim Schlafengehen ängstlich an mich kuschelte.

Doch hier oben gab es keinen Sumpf, in dem sie hätten leben können. Ohnehin sollte ein wissenschaftlich gebildeter Mensch wie ich keinen Gedanken an übersinnliche Dinge verschwenden.

Die Lichter tanzten über die Motorhaube, als wollten sie sich an meinem Pech ergötzen. Eines von ihnen setzte sich auf den verbeulten Kotflügel und für einen Herzschlag vermeinte ich im Innern des Lichtes eine Gestalt zu erkennen, die spöttisch-sittsam die Beine übereinanderschlug. Ein anderes schien sogar eine bläulich schimmernde Hand auszustrecken und gegen das Glas zu klopfen, doch ich vernahm keinen Laut außer dem Zischen des Kühlers und meinem eigenen Atem. Als ich mich nicht regte, schwebten sie in einer kleinen Prozession zur Fahrertür und von dort nach oben zur Straße. Ich dachte, dass ich das Letzte von ihnen gesehen hätte, doch nach wenigen Augenblicken erschienen sie erneut, führten vor der Tür ihren absonderlichen Tanz auf und entschwanden wieder nach oben, als wollten sie mich auffordern, den Wagen zu verlassen.

Sie hatten recht. Hier unten im Graben würde mich niemand finden, selbst wenn noch ein verspäteter Reisender die Unfallstelle passierte. Mit einiger Mühe öffnete ich die verklemmte Tür, wuchtete mich hinaus und zwang mich, den Rand des Straßengrabens zu erklimmen.

Ich erreichte ihn keinen Augenblick zu früh. Hinter der Kurve leuchtete der Widerschein heller Lampen auf. Ein Automobil näherte sich. Niemals habe ich das Röhren eines Achtzylinders einladender erlebt als in jener Nacht. Ich riss Mantel und Jackett herunter, um durch mein weißes Oberhemd auf mich aufmerksam zu machen. Dann schloss ich geblendet die Augen, denn die Lichter des herannahenden Wagens leuchteten greller, als es die beste Karbidlampe je vermochte. Ich fragte mich, ob das Fahrzeug wohl eine der neuen Beck’schen Kohlebogenlampen mit sich führte, doch diese hätte wohl den gesamten Innenraum des Wagens ausgefüllt. Bevor ich den Gedanken verfolgen konnte, preschte das Fahrzeug um die Kurve und hielt auf mich zu.

Ich schwenkte die Arme, stets bereit, in den Graben zurückzuspringen, falls der Wagen seine Geschwindigkeit nicht verringerte. Doch er bremste ab, sobald die unwirklich hellen Scheinwerfer mich erfasst hatten, und kam knapp vor mir zum Stehen.

»Was zum Teufel tun Sie um diese Stunde mitten auf der Chaussee?«, fragte eine männliche Stimme aus dem Dunkel hinter den Lampen. Sie war mir vom ersten Moment an unsympathisch, ohne dass ich dafür einen Grund hätte nennen können.

Ich schilderte meine unglückliche Lage und der Fahrer schwang sich aus seinem Automobil. Im Licht der Scheinwerfer entpuppte er sich als rechter Geck. Sein Gehrock wirkte wie aus der Zeit vor dem Großen Kriege und der Stock mit silbernem Handknauf hätte einem kaiserlichen Offizier der Alten Zeit wohl gestanden. Mit einem beherzten Griff montierte er einen der ungewöhnlichen Scheinwerfer ab und tauchte mein Automobil in gleißendes Licht.

»Den haben Sie ja schön in den Graben gesetzt«, erklärte er in selbstzufriedenen Tonfall, was mich noch weiter gegen ihn einahm. »Das Vorderrad hat ein paar Speichen eingebüßt und Ihre Scheinwerfer … Mich wundert nicht, dass Sie die Straße verfehlt haben. Wer auch immer die Karbidlampe erfunden hat, der sollte in der Hölle schmoren.«

Ich sagte nichts, was mein Gegenüber zu verärgern schien. »Den kriegen Sie nicht vor morgen aus dem Graben«, erklärte er brüsk. »Ich kann Ihnen anbieten, Sie bis zur nächsten Stadt mitzunehmen. Morgen müssen Sie dann ein Fuhrwerk kommen lassen oder, besser noch, einen Kraftwagen.«

»Könnten wir nicht wenigstens versuchen, ihn herauszuziehen?«, wandte ich ein. »Für Ihren Wagen sollte das ein Kinderspiel sein.«

Geschmeichelt strich er über die enorme Motorhaube seines Automobils und verfiel wieder in seinen jovial-überheblichen Ton. »Da könnten Sie recht haben. Aber lassen Sie sich gesagt sein, die Investition in ein paar ordentliche Scheinwerfer zahlt sich immer aus.«

Ich begutachtete die Lampe, die er noch immer in der Hand hielt, doch konnte ich kein Kabel erkennen, das die Versorgung mit elektrischer Energie hätte erklären können.

Der Fremde folgte meinem Blick. »Ein Einzelstück«, merkte er an. »Nicht ganz billig, aber wenn Sie Interesse haben, kann ich Ihnen ein Angebot machen.« Flugs zog er aus einer Tasche ein Etui und reichte mir eine Visitenkarte, die eine Adresse in der Landeshauptstadt nannte.

Aus der Kabine seines Sportwagens holte er ein Seil und wies mich trotz meiner Verletzung an, selbst hinabzusteigen und ein Seil an meinem Gefährt zu befestigen. Dazu leuchtete er mit seinem Scheinwerfer die Böschung hinab. So fand ich mühelos wie am helllichten Tag eine Stelle, an der ich das Seil befestigen konnte. Kurze Zeit später stand mein Fahrzeug wieder auf der Straße, wenn auch arg ramponiert. Mittlerweile konnte ich meinen Retter ganz gut einschätzen und ließ ein paar bewundernde Worte über die Kraft seines Wagens fallen. Sofort heiterte sich seine Miene auf. Er befestigte die Lampe wieder in ihrer Fassung und half mir, das beschädigte Rad auszutauschen.

Wir waren gerade mit der Arbeit fertig geworden, da ließ er mir den Schraubenschlüssel auf die Füße fallen. Mit einem Schmerzenslaut sprang ich auf, doch er schien meine Klage gar nicht wahrzunehmen und starrte wie gebannt auf die Motorhaube meines Automobils, über der drei bläuliche Lichtflecke tanzten. Im Licht des Scheinwerfers wirkten sie beinahe durchsichtig, doch jeder schien eine winzige Gestalt mit flammendem Haar zu enthalten. Just als ich hinsah, winkte mir eine davon neckisch zu.

Mein Helfer hielt sich nicht mit derartigen Betrachtungen auf. Er eilte zu seinem Wagen, öffnete den am Heck festgeschnallten Koffer und zog etwas heraus, das wie der Kescher eines Flussfischers aussah, aber aus Metallfäden gesponnen schien. Mit geübtem Schwung fing er die Lichter aus der Luft und hielt das Netz des Käschers zu, in dem nun drei leuchtene Bälle zappelten und tanzten. Blanker Triumph stand in seinem Gesicht geschrieben.

»Ich lasse mir niemals eine Gelegenheit entgehen«, erklärte er selbstgefällig. »Ich handle schnell und entschieden. Die drei Gesellen hier werden mir ein hübsches Sümmchen einbringen.«

Ich starrte mit gemischten Gefühlen durch die Maschen des Netzes. Mein Interesse an den Naturwissenschaften drängte mich, die leuchtenden Sphären genauer zu untersuchen. Gleichzeitig schien es mir ein schlechter Dank, meine Helfer nun der Gefangenschaft zu überlassen. Auch wenn ich als aufgeklärter Mensch davon ausgehen musste, dass mir meine Wahrnehmung einen Streich spielte, trat ich zu dem Netz, um seinen Inhalt näher zu betrachten.

Doch schneller als ein Gedanke zog der Irrlichtfänger es fort und warf es auf den Beifahrersitz seines Wagens. »Denen sollten Sie besser nicht zu nahe kommen. Die Burschen kennen keine größere Freude, als Unwissende zu verwirren und in die Irre zu locken.«

Ich muss wohl recht schafsmäßig dreingeblickt haben, denn er lachte auf und schlug mir auf die Schulter. »Sie zweifeln an Ihrer Wahrnehmung, mein Freund? Dann kommen Sie mal mit.«

Er führte mich zur Front seines Automobils, dessen Scheinwerfer die Szenerie noch immer in ihr grelles Licht tauchten.

»Kneifen Sie die Augen fest zusammen und blicken Sie von der Seite in das Licht«, wies er mich an. Ich tat wie geheißen und unwillkürlich entfuhr mir ein Laut größten Erstaunens. In dem Scheinwerfer tanzte ein Männlein, das den soeben in Gefangenschaft geratenen glich wie ein Ei dem anderen.

»Ganz recht«, lachte mein Helfer. »Auch aus kleinen Bösewichten kann immer noch etwas Gutes werden. Der da leuchtet mir schon fast ein halbes Jahr. Sie halten nicht ewig in dem Glas, aber verglichen mit solch einer armseligen Leuchte wie an Ihren Wagen doch erstaunlich lange. Wie viel Licht sie abgeben, wenn man sie chemisch behandelt, das sehen Sie ja selbst.«

Das war also das Schicksal, das meinen Rettern bevorstand.

Nun bin ich nicht nur ein Anhänger der modernen Wissenschaften, sondern auch der Philosophie. Ich darf mich rühmen, meinen Kant eingehend studiert zu haben, auch wenn ich keine Universität besucht habe. Ich fragte mich, wie mir zumute wäre, wenn man mich nur aufgrund einer speziellen Eigenschaft in ein winziges Glas sperrte und bis zur Erschöpfung dieser Eigenschaft nicht mehr herausholte.

»Es mag Ihnen seltsam erscheinen«, begann ich, »aber ich muss Sie bitten, diese Gesellen unverzüglich wieder freizulassen. Die drei haben mir geholfen, rechtzeitig auszusteigen, um Ihre großzügige Hilfe zu erhalten.«

»Sie wollen was?«, entgegnete der Irrlichtfänger entgeistert, bevor sein hochmütiger Gesichtsausdruck zurückkehrte. »Da helfe ich einem armen Tropf aus dem selbst verschuldeten Schlamassel«, erklärte er einem unsichtbaren Publikum, »und er will nichts Besseres, als mich um meinen wohlverdienten Gewinn zu bringen!« Zornig wandte er sich mir zu. »Sie sollten sich schämen, meine Großmut so zu vergelten. Sehen Sie zu, wie Sie allein weiterkommen mit Ihrer lächerlichen Klapperkiste.«

Ich setzte eine beschämte Miene auf, doch keinen Atemzug später eilte ich zu seinem Wagen, im Herzen gerechte Wut und im Kopf den Vorsatz, meine drei Helfer keineswegs diesem Menschen auszuliefern. Sie sollten nicht in einer Lampe enden.

Schon fasste ich den Stiel des Keschers und schüttelte das Netz auf, da packte mich der Irrlichtfänger von hinten, schleuderte mich zu Boden und warf die Autotür zu, hinter der die drei Lichtkugeln ängstlich durcheinanderschwirrten.

»Seien Sie froh, dass ich Sie nicht über den Haufen fahre«, stieß mein Gegner hervor. »Verdient hätten Sie es jedenfalls. Bleiben Sie doch, wo der Pfeffer wächst!«

Er eilte um sein Fahrzeug herum, warf sich mit gewandtem Schwung hinein und zog augenblicklich die Tür zu, bevor eins der Irrlichter entweichen konnte. Augenblicke später startete der Motor und das Fahrzeug fuhr mit durchdrehenden Reifen die Bergstraße hinab. Die winzige Heckscheibe des Wagens ließ nur ahnen, was drinnen vor sich ging, doch die blauen Lichter schienen um den Kopf des Fahrers zu schweben wie aufgeregte Monde um ihren Planeten.

Ich erhob mich, schmutzig und zerschlagen, um die Heimreise fortzusetzen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, wenigstens eine Karbidlampe wieder zum Leuchten zu bringen. Im Schrittempo tastete ich mich den Berg hinab.

Als ich auf diese Weise eine ausgesetzte Stelle passierte, fiel mir erneut ein flackernder Schein auf, doch dieses Mal hatte er unverkennbar eine rötliche Färbung. Er kam vom Steilabfall neben der Straße. Ich hielt an und blickte hinab.

Tief unter mir lag am Ende des Geröllfeldes das brennende Wrack des Sportwagens auf dem Dach. Erstickender schwarzer Rauch wälzte sich zur Straße herauf und entzog das verunglückte Fahrzeug meinem Blick. Als ein Windstoß die Rußschleppe zur Seite blies, erhaschte ich den Blick auf fünf bläuliche Kugeln, die über dem Wrack kreisten.

Es sah aus, als ob sie tanzten.