schreibt Fantasy

Die Industrie des Lachens

Die Toreinfahrt, vor der uns Ingenieur Dr. Sunder empfängt, liegt in einem unauffälligen Gewerbegebiet, in dem sich sich Pharmaunternehmen und Start-Ups aus der Medizintechnik die Grundstücke streitig machen. Ein Verwaltungsgebäude, zwei Reihen Parkplätze. Und hier soll die Wiege der neuen deutschen Comedy stehen?

»Mehr als das. In wenigen Jahren werden der deutsche Rundfunk und ein Großteil der Online-Medien von diesem Gelände aus mit neuen Unterhaltungsformaten versorgt werden – zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten. Da kann Künstliche Intelligenz einpacken, vor allem auf der Kreativseite.« Dr. Sunders Stimme wird von einer ruhigen Gewissheit getragen, die neugierig macht. Wir umrunden das Gebäude und gehen auf etwas zu, das aussieht wie eine Raffinerie, die jemand zu heiß gewaschen hat. Ein Gewirr aus mehreren Kilometer Rohren unterschiedlichster Durchmesser scheint sich auf kleinstmöglichem Raum um metallene Zylinder zu wickeln, die mehrere Stockwerke hoch in den Himmel ragen, und verbindet sie mit kugelförmigen Tanks, die etwas abseits stehen. Dampf steigt aus unsichtbaren Ventilen, sogar eine Gasfackel brennt. Der Geruch nach Rotterdam liegt in der Luft.

»Stimmt«, lacht Dr. Sunder. »Design und grundsätzliche Technik haben wir aus der Petrochemie übernommen, aber die Grundstoffe, die wir verarbeiten, haben mit Erdöl nichts zu tun.« Er weist den Weg zu den Tanks, und fast unmerklich ändert sich der Duft, der in der Luft liegt. Eine unangenehme, schwer einzuordnende Süße überlagert alle anderen Gerüche.

»Im größten Tank lagern wir den wichtigsten Grundstoff unserer Produktion: Frisches Zwerchfell.«

Er lacht über unseren ungläubigen Gesichtsausdruck. »Wir haben einen Exklusivvertrag mit den größten Schlachtereien der Region abgeschlossen. Täglich wird hier frische Ware angeliefert und in die Tanks gepumpt. Zwerchfell vor allem. Unser Premium-Grundstoff sind Augenringmuskeln, die einzeln von Hand aus den Schlachttieren seziert werden. Und richtig teuer wird es hier im dritten Tank. Er enthält ausgesuchte Gehirnteile, die von Spezialisten aus den Hirnen von Schlachttieren geschnitten werden müssen. Aus naheliegenden Gründen können wir auf menschliches Material nicht zurückgreifen. Die zerkleinerten Zwerchfelle werden dann über eine Rohrleitung in unseren Fracking-Turm gepumpt.« Er lacht über meinen Gesichtsausdruck. »Sie haben schon richtig gehört: Wie in der Petro-Industrie wird unser Grundprodukt chemisch aufgeschlüsselt.«

Inzwischen stehen wir vor einem der Metallzylinder. Kleinere Rohe verlassen in unterschiedlicher Höhe die Anlage. Es zischt und die Strahlungswärme ist mehrere Meter weit zu spüren.

»Wir blasen überhitzten Dampf durch das Material, das sich in seine Bestandteile zerlegt: Oben die leichten Produkte, unten der schwere Rest, genau wie beim Erdöl. Im höchsten Reaktorteil leiten wir die leichte Muse ab, das unverfängliche Lustspiel. In der Mitte gewinnen wir ironisch gefärbten Alltagswitz, noch tiefer die Schenkelklopfer und ganz unten schweren Sarkasmus.« Dr. Sunder weist mit der Hand auf die unterste Rohrleitung. »Leider verkauft der sich kaum und muss derzeit noch als Sondermüll entsorgt werden.«

Das erklärt wohl auch den Geruch hinter der Anlage.

»Die übrigen Substanzen pumpen wir in die Produktionshalle und mischen sie dort mit den Essenzen aus dem Gehirn, die wir im kleinsten der Türme gewinnen.« D. Sunder weist auf einen Anlagenteil, der aussieht, als wäre eine Gießkanne mit einem Atomreaktor intim geworden. »Wir destillieren vor allem aus dem dem Nucleus accumbens. Der wird bei Ihnen immer dann aktiv, wenn Sie herzlich lachen. Oder Kokain schnupfen.« Wieder lacht er, als hätte er ein wenig zu lange an der Leitung geschnüffelt. »Und in der Fertigungshalle wird aus diesen Rohstoffen – Comedy.«

Heiterkeit aus Hirndestillat? Zoten aus Zwerchfell?

»Die genauen Produktionsprozesse kann ich Ihnen nicht verraten«, bedauert Dr. Sunder. »Die Konkurrenz schläft nicht. Aber schalten Sie in den nächsten Tagen mal Ihren Fernseher ein oder gucken ein paar Filme im Netz. Ich garantiere Ihnen, mindestens eine der Sendungen, über die Sie sich amüsieren, ist hier entstanden. Unsere nächste Kundengeneration sitzt dann zu Hause vor dem PC.«

Das leuchtet ein. Über die industriell gefertigte Heiterkeit der Kommerzkanäle lacht man auch nicht lauter als über ein Pfund frisches Hirn oder ein -zigmal gezeigtes Meme. Und was bekommen wir als nächstes zu sehen? Schweinehälften im Spartensender für Tierfilme?

»Unwahrscheinlich.« Dr. Sunder zuckt mit den Schultern. »Wenn wir hier minderwertiges Material aufbereiten, sinkt auch die Qualität der Sendungen. Und Schweinehirn – wir haben damit experimentiert, aber das Ergebnis waren derart versaute Witze, dass kein Sender sie uns abkauft.«

Und was ist mit den Augenringmuskeln?

»Die spannen Sie immer an, wenn Sie sich aufrichtig amüsieren«, erklärt unser Führer. »Wir sind noch in der Experimentalphase, aber die Versuche sind vielversprechend. Bisher sind wir auf unser komisches Duo angewiesen: Hirn und Zwerchfell. Aber warten Sie nur ab, wenn wir hier im industriellen Maßstab einsteigen. Dann wird augenzwinkernder Humor eines unserer Premiumprodukte werden.«