schreibt Fantasy

Träubis in den Tod

Manfred Träubis in den Tod getrieben? Hier im Haus lacht man über solche Anschuldigungen. Frau Beuerle, EG links, also seine unmittelbare Nachbarin, erklärt, dass es vielmehr Manfred Träubis war, der hier so viele Schwierigkeiten verursacht hat. Letztlich habe er sich sein tragisches Ende selbst zuzuschreiben, das ihm freilich niemand gewünscht hätte, nicht einmal die alte Kaiser aus dem Dritten. Herr und Frau Maks, zweites OG rechts, nicken energisch und fügen an, das alles hier sei ein tragisches Missverständnis. Tragisch, jawohl – auch wenn man, zugegebenermaßen, auch erleichtert sei, dass die schlimme Zeit nun ihr Ende gefunden habe. Draußen fährt der Leichenwagen an, der Arzt hat sich schon vor einiger Zeit verabschiedet und nun wird Manfred Träubis in der Pathologie auseinandergeschnitten, aber: Was soll man dort schon finden? Strick um den Hals, klare Sache. Im Treppenhaus, als letzte Gemeinheit des Verblichenen. Wobei: Verblichen sah der nicht aus. Und dass es bis ins Kellergeschoss tropfen würde, wenn sich die, verstehen Sie, Pforten öffnen, war so einem doch klar. Unangenehm, ja. Und hinterlistig, er hat wohl schon darauf spekuliert, dass die Spurensicherung stundenlang das Treppenhaus sperren würde, und das, wo die alte Kaiser am Sonntagmorgen immer zur Messe abgeholt wird. Er sei sich eben treu geblieben bis zum letzten Atemzug.

Herr Marz tritt hinzu. Schnauft mächtig, das Herz, verstehen Sie, und so eine Schweinerei, das geht einem doch auf den Kreislauf. Herr Marz wohnt noch nicht so lange hier, zehn Jahre, oder nein: elfeinhalb. Wie doch die Zeit vergeht! Er hat sich damals schnell in die Hausgemeinschaft eingefunden. Hat das auch richtig angegangen, alle zum Kaffeeklatsch eingeladen, damit man sich gleich richtig kennen lernt, und hat Frau Beuerle bei der Steuer geholfen. Ihr Vermögen in der Schweiz verstecken, was, Frau Beuerle, haha!

Der Träubis dagegen, der Träubis… also erst mal ist der so ganz allmählich eingezogen, heimlich sozusagen, hier mal eine Umzugskiste und da mal eine Hutschachtel, und irgendwann stand dann das Mietauto vor der Tür, und ein paar muskelbepackte Helfer trugen seine Sachen rein. Muskeln waren das, keine, wie man sie von ehrlicher Arbeit kriegt, sondern… und die knappen Hosen, die diese jungen Männer trugen – also da war doch klar, was das für Jungen waren. Laut war es an dem Tag, und wenn man einzieht, ohne sich überhaupt mal vorzustellen, verspricht das nun mal keinen guten Verlauf. Und die Mittagspause, wo die arme Frau Beuerle immer ihr Nickerchen machen muss, wegen des Kreislaufs: Bohrmaschine ausgepackt und losgelegt, als wollten sie aus der Wohnung einen Schweizer Käse machen. Musste er sich nicht wundern, wenn der Empfang etwas kühler ausfiel, als seine Jungs weg waren und er die Runde durchs Haus machte. Kein Kaffee oder so, stattdessen wollte er sich einen Elektroschraubenzieher ausleihen! Herr Marz besitzt natürlich einen Elektroschraubenzieher, er hat da so einen Technik-Spleen, der sich später noch auszahlen sollte. Aber hören Sie mal, einen Schraubenzieher – selbst wenn man den mit Ratschenfunktion nimmt – achtfuffzich im Baumarkt, da kann man wohl selbst. Kann man.

Und so ging es weiter. Der junge Mann hatte immer die Vorhänge zugezogen, den ganzen Tag bekam man nichts von dem zu sehen, stattdessen verließ er abends um sieben das Haus und kam irgendwann am späteren Morgen wieder. Einmal war er so müde, dass er vergaß, die Vorhänge zuzuziehen. Als Herr Klaus, erstes OG Mitte, der gibt hier auch den Hausmeister, als also der Herr Klaus vom Garten aus – Gemeinschaftswiese natürlich! – vom Garten aus hineinsah, vorsichtshalber, lag der Träubis längelang im Bett und schlief. Fuhr dann hoch und ließ wütend den Rollladen runterknallen. Gut, sicher, vielleicht hätte Herr Klaus den Rasenmäher ausmachen sollen. So etwas passiert nun mal.
Aber jetzt war klar: Das kann nichts Gutes sein, was der Träubis da treibt. Hat gar nicht mehr versucht, die Leute kennen zu lernen. Grüßte kaum, gähnte ohne die Hand vorm Mund, schöne Zähne übrigens. Überhaupt sehr gepflegt. Wirklich sehr. Das sagt ja auch was aus.
Man traf sich dann beim gemeinsamen Kaffee, in der Wohnung von Frau Beuerle. Und glauben Sie, der hat mal nachgefragt? Stattdessen beschwerte er sich über den Lärm in der Mittagspause. Ausgerechnet! Vermutlich hatte er da schon mit der Gemeinschaft abgeschlossen. Kennt man ja, bei solchen Eigenbrötlern.

Was, Nachtwache war der? In welchem Etablissement?

Kreiskrankenhaus?

Das könnte auch etwas erklären, sicher, aber die jungen Männer beim Einzug, überhaupt der ganze, ungewöhnlich gepflegte Typus … Man möchte ja schon wissen, mit wem man da Tür an Tür wohnt. Und so beschloss die Gemeinschaft, ein wenig genauer hinzusehen, welche Kontakte der junge Mann so pflegte. Herr Maks hat geprüft, welche Zeitung der neue Mitmieter las, und als ob man es gewusst hätte: Das Russenblatt. Passte irgendwie, nicht? Vielleicht hat er die Leimspuren im Briefkasten entdeckt, jedenfalls kam von einem Tag auf den anderen gar keine Post mehr. Misstrauisch sind die Leute heutzutage!

Herr Klaus hat dann die Leitung der operativen Beobachtung übernommen, der hat Erfahrung in so was und außerdem diesen neuen Quartett… Kopter … jedenfalls diesen ferngesteuerten Hubschrauber. Sehr leise, kein Vergleich mit dem Rasenmäher. Dafür mit Kamera. Zehnfach-Zoom, musste man den guten Mann ja nicht gleich belästigen. Und was tut er? Sieht das Ding, zieht seinen Hausschuh aus und – sechshundert Euro beim Teufel. Herr Klaus konnte gerade noch den Film sichern. Die Hausgemeinschaft sprach dann eine ernste Verwarnung aus wegen Verstreuen von Müll auf der Gemeinschaftsfläche. Doch, den Quarto – den Hubschrauber hat er einfach liegen gelassen, dabei hatte doch er ihn zerstört.
Darauf beschloss die Hausgemeinschaft, ihn zu ignorieren. Komplett. Nur noch bei Vergehen gegen die Hausordnung schriftlich zu ermahnen, und sonst: Funkstille. Sollte er doch froh sein, wenn er nicht wollte!

Er war es dann, der die Polizei rief. Behauptete, er hätte ein seinem Briefkasten eine tote Ratte gefunden und eine Drahtschlinge. Also hören Sie mal, wer hier im Haus würde denn so etwas tun? Und die Sauerei, als jeder seine Fingerabdrücke abgeben musste wie ein gemeiner Verbrecher! Natürlich kam nichts heraus. Wer sollte das schon gewesen sein, die alte Kaiser vielleicht? Jedenfalls schrie er eines Tages Herrn Maks im Treppenhaus an, man werde schon sehen, was man von solchen Aktionen habe. Da war klar: Der muss weg.

Gemacht? Ach was. Wer den Gartenzwerg vor seine Tür gelegt hat mit dem Beil im Rücken – nie herausgekommen. Wieder mal keiner aus der Hausgemeinschaft, die Fingerabdrücke waren ja noch gespeichert bei der Polizei. Vermutlich einer seiner… Kunden. Krankenhaus? Der hatte doch einen Zweitjob, vermutlich. Als Nachtwache kann man sich eine so schöne Wohnung gar nicht leisten.

Und jetzt ist er weg. Tragisch, das Ganze, ausgesprochen tragisch. Aber wie hätte man auch ahnen können, wie krank der Träubis war, psychisch fertig, vermutlich depressiv oder Schlimmeres. Also, wenn der eine Waffe in der Wohnung gehabt hätte, man hat ja so seine Phantasien.
Die Sauerei im Treppenhaus hat dann die Hausverwaltung wegmachen lassen, und Frau Kaiser hat einen Friseurgutschein gekriegt, als Ausgleich für den Schreck.